Neuzüchtungen
Neuzüchtungen; Sog. intraspezifische – im Gegensatz zu den interspezifischen – Kreuzungen aus Vinifera x Vinifera- Sorten, die insbesondere in den sechziger und siebziger Jahren das vermeintliche Zauberwort im deutschen Weinbau darstellten, das in Rheinhessen, in Franken, an der Nahe, in der Pfalz, aber z. T. auch in Baden, an der Mosel, in Württemberg und in den anderen Anbaugebieten den in seinen Konsequenzen kaum bedachten, fast fluchtartigen Übergang von alten Rebsorten (Riesling, Silvaner, weiße und blaue Burgundersorten, Gutedel u. a.) auf neue Rebzüchtungen wie Kerner, Scheurebe, Bacchus, Morio-Muskat, Huxelrebe u. a. markierte. Nicht dass Neuzüchtungen an sich bereits abzulehnen wären, denn schließlich ist nicht nur die Müller-Thurgau-Rebe eine sehr erfolgreiche Neuzüchtung, die passable Alltagsweine und mitunter durchaus besseres hervorzubringen in der Lage ist, sondern es gibt unter ihnen auch Rebsorten, die ein dem Müller-Thurgau vergleichbares, vielleicht ihn noch übertreffendes Qualitätsniveau zu erreichen vermögen, obgleich keine von ihnen qualitativ auch nur entfernt an den Riesling, den Weißen oder Grauen Burgunder, Traminer, Silvaner und die übrigen traditionellen Sorten heranreicht- jener ebenso irrige wie letztlich fatale Euphemismus, mit dem die ganze Neuzüchtungswelle gestartet wurde. In der Praxis war diese jedoch die natürliche Folge des 1971er Weingesetzes, Reben zu züchten, die frühreif sind, d. h. hohe Oechslewerte erreichen und damit fast jedes Jahr Spätlesen erlauben, sehr hohe und sichere Erträge bringen, z. T. noch gepaart mit aufdringlichem Bukett. Mit anderen Worten waren an die Stelle von Qualitätserwägungen rein ökonomische Überlegungen getreten, die sich an den Gesichtspunkten von Masse und Gewinn orientieren, die Antithese zu jeder wirklichen Weinkultur. Als Ergebnis haben wir es heute im deutschen Weinbau mit einer qualitativ (und auch im Sinne der Existenzsicherung der Betriebe) überhaupt nicht mehr zu rechtfertigenden Vielfalt von Rebsorten zu tun, durch die nicht nur viele Betriebe, sondern auch bereits ganze Anbaugebiete ihr qualitatives Profil verloren haben. Schon heute ist in Deutschland rund jeder zweite angepflanzte Rebstock eine Neuzüchtung, wobei es in Rheinhessen trotz rückläufiger Tendenzen immer noch über 20 Rebsorten gibt, mit denen 10 ha und mehr Fläche bestockt sind, während der Anteil der alten Sorten, also der Nicht-Neuzüchtungen an der Gesamtrebfläche, wenn auch steigend, lediglich 32% ausmacht. Erfreulicherweise hat jedoch inzwischen eine Neubesinnung auf die klassischen Sorten und ihre Werte eingesetzt, so dass eine zunehmende Zahl von Gütern sich mittlerweile wieder von diesen einst gepriesenen Sorten abwendet und ihre Flächen durch Riesling, Burgundersorten, Silvaner u. a. ersetzt. In den übrigen traditionsreichen Weinbauländern Europas haben Neuzüchtungen für den Qualitätsweinbau nie eine auch nur annähernd vergleichbare Rolle in den zurückliegenden Jahrzehnten gespielt.