Altern von Wein
Altern von Wein; Die Auffassung, dass Wein desto besser ist, je älter er ist, gilt längst nicht mehr. Jeder Wein verändert sich mit zunehmendem Alter, doch über die damit verbundenen Fragen, über den Grad der Veränderung, über Charakter, Qualität, Lagerfähigkeit, Entwicklungsdauer u. a. herrscht vielfach Unklarheit, zumal der Trend zu jungen, frischen Weinen im Zug der Zeit zu liegen scheint, tatsächlich jedoch oftmals allein Unkenntnis verbirgt.
Viele Faktoren entscheiden über die Reifeentwicklung eines Weins, und nur auf die wenigsten von ihnen hat der Weintrinker Einfluss. Boden, Rebsorte, Vinifikation und Weinausbau sind dagegen von entscheidender Bedeutung, und die übergroße Zahl gewöhnlicher Weine ist nicht für eine nach Jahren zählende Lagerung bestimmt und wird sich nicht oder nur unwesentlich auf der Flasche verbessern. Jeder bessere Wein verfügt dagegen ähnlich dem Menschen über verschiedene Lebensalter – seine Jugend, seine Reife und sein Alter. Diese Phasen mögen ganz unterschiedlicher Länge sein, ohne dass man darüber allgemeine Angaben machen könnte. Seit es aber in vielen Teilen der Welt als Fortschritt gepriesen wird, Weißweine ausschließlich in Stahl- oder Kunststofftanks möglichst reduktiv auszubauen, macht es in der Regel keinen Sinn mehr, auch die besten von ihnen länger als 5-6 Jahre liegen zu lassen; vielmehr sollte man sie tunlichst in den ersten drei Jahren getrunken haben. Bei Weißweinen, die zumindest eine Reihe von Monaten in Holzfässern sorgfältig ausgebaut wurden, aus einer hervorragenden Rebsorte (Riesling, Weißer Burgunder, Grauer Burgunder, Grüner Veltliner, Chardonnay, Sauvignon u. a.) und Lage, einem guten und besseren Jahrgang und von einem zuverlässigen Erzeuger stammen, sieht dies ganz anders aus.
Einen bemerkenswerten weißen Burgunder oder Bordeaux aus einem überdurchschnittlichen Jahr wird kein Kenner trinken, bevor er nicht mindestens 5 Jahre alt ist, und der höchste Genuss wird sich vielfach erst im Alter von 10 oder 15 Jahren einstellen. Mit einem qualitativ ähnlich exzellenten Riesling aus einem deutschen oder österreichischen Spitzengebiet, einem Grünen Veltliner aus der Wachau o.ä. Weinen ist dieses bei den gleichen Voraussetzungen nicht anders, zumal wenn es sich um trockene Weine handelt. Auch diese verlangen ein ähnliches Alter, um wirklich zeigen zu können, was in ihnen steckt.
Bei großen Rotweinen, gleich ob aus Frankreich, Italien, Spanien (Barolo, Gattinara, Barbareso und Chianti antico, hier allerdings nur wenige Sorten) oder wo immer sonst her, versteht sich diese Geduld und der Zwang zur Lagerung für den Weintrinker von selbst. Spanischer Sherry altert überhaupt nicht.
Bei entsprechenden Weißweinen ist das Bewusstsein dafür vielfach verlorengegangen, und der Hinweis auf den unzureichenden Neubaukeller im eigenen Haus dient meist als Entschuldigung dafür. Doch eine Temperaturschwankung von ca. 10° C über das Jahr schadet selbst einem trockenen Weißwein nach 15 Jahren in keiner erkennbaren Weise. Altern von Wein ist daher nicht nur eine Frage der Möglichkeiten und des eigenen Mutes, sondern auch ein Kennzeichen von Weinkultur, die ja nicht nach dem müden, faden oder firnen Wein strebt, sondern die es vermag, dem Wein seine notwendige Zeit zur Reifung zu geben, um ihn dann auf seinem geschmacklichen Höhepunkt zu genießen. Das Altern von Wein ist mithin weder Selbstzweck noch unzeitgemäß, sondern, mit Maß und Verstand angewandt, das Gebot jeder Weinkultur. Es ist schade um jede Flasche Wein, die vor ihrer Zeit getrunken wird.